Der Prignitzer vom 16.10.2011
Eisenbahn-Romantik im alten Bw
von Lars Reinhold
Wittenberge
Schnaubend und zischend rollte die betagte Lady im schwarzen Kleid ins Bahnbetriebswerk Wittenberge. Während über Feuerwehrschläuche rund drei Kubikmeter Wasser in den Tank rauschen, poltert eine Tonne Brennstoff in den Kohlekasten. Mit einem Pfiff kündigt der Lokführer der 91er an, dass sein Dampfross nun bereit ist für die Sonderfahrten nach Perleberg. Ein Highlight anlässlich des besonderen Jubiläums, zu dem der Lokschuppenverein Interessierte am Samstag eingeladen hatte.
Auf den Tag genau vor 165 Jahren, am 15. Oktober 1846, war Wittenberge mit der Eröffnung der Bahnstrecke Berlin-Boizenburg Eisenbahnstadt geworden. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Elbestadt zum wichtigen Knotenpunkt, war "das größte und schmutzigste Bahnbetriebswerk der Reichsbahndirektion Schwerin", wie sich Lokführer Jürgen Stettin schmunzelnd erinnert - denn schließlich war es Heimstatt für bis zu 140 Lokomotiven. Erst mit der Elektrifizierung der Strecke sank die Bedeutung des Standortes, 1997 wurde der Betrieb gänzlich eingestellt.
"Der 100. Stellwerksgeburtstag im Jahr 2009 war wie eine Initialzündung, hier auf dem Areal noch mehr zu wagen", sagte Klaus Ludwig, Vorsitzender des 2004 gegründeten Lokschuppenvereins, in seiner Ansprache. Jetzt, zwei Jahre später, sei der Verein dank eigenem Engagement sowie der Hilfe von Sponsoren und der Stadt - die rund zwei Millionen Euro Fördermittel einwarb und 270 000 Euro an Eigenmittel investiert - in der Lage, das Areal langsam wieder in Betrieb zu nehmen.
"Ganze Familien unserer Stadt haben mit der Bahn, von der Bahn und für die Bahn gelebt", betonte Wolfgang Strutz, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, in seinen Grußworten und wünschte dem Verein weiterhin viel Erfolg dabei, das Andenken an diese Zeit zu bewahren. Um auch jenen, die diese Entwicklung möglich machten, den Gleisbauern, ein Denkmal zu setzen, folgte die Enthüllung einer Figurengruppe. Diese haben Schüler des Curie-Gymnasiums in ihrer Projektwoche unter Anleitung des Müggendorfer Künstlers Guntram Kretschmar angefertigt, um damit historische Gleisbauwerkzeuge aus dem Bestand des Vereins in Szene zu setzen und zu zeigen, mit welch schwerer körperlicher Arbeit in Wittenberger Eisenbahngeschichte geschrieben wurde.
Viele Besucher nutzten die Chance, sich über das Gelände führen und sich die Pläne des Vereins erläutern zu lassen. So sollen neben dem Lokschuppen viele Gleise erneuert werden, die Wassertürme und -kräne wieder Lokomotiven versorgen können. Auch die Modellbahnfreunde Perleberg wollen sich in einem Nebengebäude einrichten, hieß es.
Im Getümmel dabei war auch Burkhard Bohn, Vorsitzender der Dampflokfreunde Salzwedel, die mit ihrem gesamten Fahrzeugbestand nach Wittenberge umziehen wollen. Noch einmal betonte er, wie sehr sich sein Verein auf das neue Domizil an der Elbe freue. "Es ist nicht mutig von uns, Salzwedel zu verlassen. Mutig wäre es gewesen, am alten Standort zu bleiben, denn keiner weiß, wie lange wir das Objekt dort noch nutzen können. Für einen Erwerb und die Instandhaltung fehlt uns schlicht das Geld." Für eine Premiere sorgte schließlich die 113-jährige Dampflok 91 134, die als erste Lokomotive die restaurierte Drehscheibe zum Wenden nutzen konnte.
Mitfahren auf einer echten Lokomotive. Für viele Kinder ein Höhepunkt. |
Gruppenbild anlässlich einer Premiere: Mitglieder des hiesigen Lokschuppenvereins gemeinsam mit Stadtführer Jürgen Schmidt als Salomon Herz (2. v.l.) und Burkhard Bohn von den Dampflokfreunden Salzwedel (3.v.l.) vor der 91 134, die als erste Dampflokomotive auf der restaurierten Drehscheibe offiziell gewendet wird. |
Lysann Herms und Sebastian Kindel gehören zu den Schülern, die die Figuren gestaltet haben. Fotos: Lars Reinhold |
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