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Quelle: Volksstimme vom 24. Mai 2007

Die Geschichte der Eisenbahnlinie Salzwedel - Arendsee - Wittenberge

Vor 85 Jahren rollte der erste Zug nach Arendsee

von Eckehard Schwarz

Immer wieder wird über die Streckenstilllegungen sowie eine Wiedereröffnung unter einem neuen Betreiber der Eisenbahnstrecke von Salzwedel über Arendsee nach Wittenberge diskutiert. Dieser Bericht möchte daran erinnern mit wie viel Anstrengungen und Hoffnungen unsere Väter vor nunmehr 85 Jahren diese Bahnverbindung als damalige Verbindung von der kleinen Altmark in die weite Welt begrüßten.

Bereits 1891 dachten die Stadtväter von Salzwedel, Arendsee und Seehausen über eine Ost-West-Bahnverbindung durch die nördliche Altmark nach. Diese ersten Pläne scheiterten jedoch ebenso wie der zwischenzeitliche Plan einer Kleinbahnverbindung von Arendsee nach Pretzier mit Anschluss an die Strecke Salzwedel-Magdeburg.
Im Jahre 1904 einigten sich endlich alle am Bau interessierten Gemeinden darauf, eine Strecke von Salzwedel über Arendsee nach Wittenberge über Geestgottberg zu bauen. Es bildete sich ein Konsortium unter Leitung von Bürgermeister Nedwig aus Salzwedel, welches den Bau der Bahnstrecke als Staatsbahnstrecke nach Kräften förderte.
Die Planungsunterlagen wurden bei den zuständigen Behörden in Hannover eingereicht und 1912 in allen Gemeinden ausgelegt. Am 1. April des Jahres 1913 gab die Eisenbahndirektion Hannover ihre Zustimmung zum Bau der Eisenbahnstrecke von Salzwedel nach Wittenberge.
Noch im selben Jahr begannen Vermessungsarbeiten und erste Verhandlungen über den Kauf der betroffenen Grundstücke begannen. Ein Jahr später nahmen die Arbeiten schon konkrete Formen an. Im zeitigen Frühjahr wurde der Bahndamm von den Endpunkten der Bahnstrecke Salzwedel und Geestgottberg aus gleichzeitig errichtet. Weiterhin begannen die Arbeiten an der 57 m langen Alandbrücke bei Geestgottberg sowie der Ritzer Brücke bei Salzwedel mit 40 Meter Spannweite.

Durch den Krieg ruhten die Arbeiten

Doch der 1914 vom Deutschen Kaiserreich begonnene 1. Weltkrieg machte sich auf die deutsche Wirtschaft und damit natürlich auch auf den Bau der Bahnverbindung immer stärker negativ bemerkbar. Die Männer wurden an der Front gebraucht und das Baumaterial wurde knapp. Daher wurden die Arbeiten im Frühjahr 1916 wegen Geldmangel eingestellt und die Bau-Abteilung Salzwedel am 1. April 1916 aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt war der gesamte Gleiskörper mit allen Durchlässen sowie die Brücken zum größten Teil fertiggestellt.
Niemand glaubte mehr so recht an einen Weiterbau der Eisenbahnlinie nach dem Krieg. Doch der hohe Fertigstellungsgrad der Bahnstrecke machte eine Rücknahme der Baupläne unmöglich. Auch die an der Bahnstrecke gelegenen Gemeinden forderten immer wieder den Weiterbau, nicht zuletzt um den aus dem Krieg heimkehrenden Menschen eine sinnvolle Beschäftigung zu geben.
Daher wurde bereits 1918 der Weiterbau der Bahnlinie beschlossen und zum 1. Januar 1919 die Bauabteilung Salzwedel wieder mit der Durchführung der Bauarbeiten beauftragt. Allerdings wurde nur im Abschnitt Salzwedel-Arendsee mit den Bauarbeiten begonnen.
Zuerst ist der Gleisdamm bei Riebau durch die Firma Eichhoff aus Hannover unter der Leitung von Schachtmeister Karl aus Salzwedel vollendet wurden. Die dadurch gewonnenen Erdmassen wurden für die Andeckarbeiten an der Ritzer Brücke verwendet. Für den gesamten Bau der Brücke zeichnete die Firma Preuße aus Braunschweig verantwortlich. Anschließend wurde mit dem Verlegen der Schwellen und Gleise von Salzwedel aus begonnen. Diese wurden von Salzwedel aus bis Riebau ebenfalls von der Firma Eichhoff verlegt. Von Riebau bis Mechau war die Fa. Fritz & Co. aus Magdeburg zuständig und die Reststrecke von Mechau bis Geestgottberg verlegte die Fa. Simon mit Schachtmeister Fritsch.

Geldmangel: Eröffnung vor der Fertigstellung

Die Bahnhofsgebäude von Ritze bis Arendsee wurden ebenfalls in den Jahren 1920 bis 1922 fertiggestellt, wobei angemerkt werden muss das der Bahnhof Kaulitz zur Eröffnung aus Geldmangel noch nicht vollständig fertiggestellt war. Die Gemeinde Kläden sollte nach ersten Planungen keinen eigenen Bahnhof erhalten, erst durch ständige Beschwerden des Gemeinderates erhielt Kläden diesen dann doch.
Die Hauptgebäude aller Bahnhöfe waren aus Kostengründen baugleich, sind jedoch bewusst farblich anders unterschiedlich gestaltet wurden. Durch eine Einzelausschreibung sind diese immer von anderen Firmen errichtet. So waren am Bahnhofsgebäude in Arendsee zum Beispiel die Maurerfirma Lemke, Dachdecker Schmidt, Zimmerei Rolf, Tischler Bierstedt und Klempner Jentsch alle aus Arendsee tätig. Die Gebäude der Teilstrecke Arendsee-Geestgottberg wurden erst 1921/22 begonnen.
Am 3. April 1922 erfolgte die landespolizeiliche Abnahme der mit 22,6 Km angegebenen Teilstrecke von Salzwedel nach Arendsee und am 22. April die Abnahme durch die Eisenbahndirektion Hannover.
Bereits am Mittwoch dem 3. Mai 1922 rollte der erste Zug von Salzwedel nach Arendsee. Der aus 16 reich geschmückten Wagen der Klassen 2-4 bestehende Festzug wurde mit großer Begeisterung der Salzwedler Bürger um 13 Uhr unter den Klängen der Schillingschen Kapelle auf die Reise nach Arendsee geschickt. Neben dem Zugführer Ullrich werden auch die Schaffner Lühmann und Randel sowie der Lokführer Schulz im "Salzwedeler Wochenblatt" genannt. Der vollständigkeitshalber und für interessierte Heimatfreunde hier die Namen der weiteren hohen Ehrengäste. Die Regierungsbauräte Brigleb, Hiller und Hense von der Eisenbahndirektion Hannover, Regierungsbaurat Fahl vom Betriebsamt sowie der Leiter der Bauabteilung Salzwedel Herr Regierungsrat Blanck.
Zuvor hatte Salzwedels 1. Bürgermeister Dr. Sarge die zahlreichen Ehrengäste bei einem Festfrühstück im Hotel "Kaiserhof" begrüßt. In seiner kurzen Ansprache betonte er unter anderen; "Mag auch die neue Bahn über eine rein örtliche Bedeutung nicht hinauskommen, so ist gerade ihr Wert für uns, für Arendsee und für das Zwischengelände umso gewichtiger, so ist der Dank, den wir der Eisenbahnverwaltung schulden, um so größer. In dieser Zeit des Tiefstandes unseres Vaterlandes und unseres Geldes ist es ein nicht geringes Opfer, das die Reichseisenbahnverwaltung gebracht hat, ist es eine weitere Belastung der angestrengten Finanzen der Reichseisenbahn, unsertwegen und nur unsertwegen ein Unternehmen zu schaffen und zu betreiben, das in der leider sich ständig vermehrenden Reihe der Zuschussbetriebe wohl einen bedeutenden Platz beanspruchen muss. In einer Zeit, in der sich die Arbeitslosigkeit noch von der Arbeitsunlust übertreffen lässt, in der Materialkosten trotz ihrer Höhe noch hinter Materialnot stehen, ist es aber auch eine Leistung überhaupt einen Bau, mag er nur von der Größe dieser Bahnstrecke sein, zu Ende zu bringen".
Die Gemeinden des Umlandes nahmen den Anschluss an das Bahnnetz wesentlich euphorischer auf. In jedem Ort an der Bahnstrecke ließ es sich der Bürgermeister und zahlreiche Einwohner nicht nehmen den ersten Zug feierlich zu begrüßen. Überall gab es Blumen für die Ehrengäste, die Bahnhöfe und Bahnsteige waren festlich geschmückt und die Bürgermeister hielten ihre Willkommensreden.

Maibowle und Zigarren für Fahrgäste

In Ritze gab es dazu zur Freude der Fahrgäste frische Maibowle und sogar Zigarren. In Riebau waren neben den Einwohnern auch die Schüler der Dorfschule mit ihren Lehrer Lehmann erschienen und die Schülerin Grete Nahrstedt sagte ein Gedicht zur Freude der Ehrengäste gekonnt auf. Auch in Mechau folgten wieder Reden und einige Gedichte. Aus Dankbarkeit für die Bahnverbindung richtete die Gemeinde zusätzlich ein Essen für 32 Eisenbahner im "Berliner Hof" in Arendsee aus. In Kaulitz begeisterte die Ehrengäste und den Redakteur des "Salzwedeler Wochenblatt" besonders ein plattdeutsches Gedicht, vorgetragen von Trudchen Fritze um Dirndl und in Kläden begrüße der Männergesangverein mit dem Lied "Seit willkommen zum Feste" den Zug.
Um 15.50 Uhr erreichte der Zug endlich seinen Zielort Arendsee. Auch hier waren wieder hungerte Bürger erschienen um den ersten Zug aus Salzwedel zu begrüßen. Der gesamte Bahnhof war mit Fahnen, Girlanden, Fichten und Lorbeerbüschen geschmückt. Die Willkommensworte hielt Bürgermeister Dr. Saalfeld. Die Arendseer Kapelle Kamieth unterstütze jetzt die Kapelle Schilling, die zuvor auf allen Bahnhöfen für die musikalische Unterstützung gesorgt hatte. Mit Blasmusik und vielen Fahnen begaben sich die Teilnehmer des Festzuges danach zum "Berliner Hof" zum gemeinsamen Kaffee trinken.
In seiner Begrüßungsrede hob hier Bürgermeister Dr. Saalfeld vor allen die Bedeutung der Bahnverbindung für den weiteren Urlauberaufschwung in der Seestadt hervor. Um 17,30 war dann der offizielle Teil beendet und in den Festsälen des "Berliner Hofes" und des "Altmärker Hofes" spielten jetzt die Kapellen zum Tanz auf. Um 20,00 Uhr fuhr dann der Zug wieder zurück nach Salzwedel, wo er wieder von einer großen Menschenmenge bereits erwartet wurde.
Der fahrplanmäßige Zugverkehr wurde am 4. Mai mit dem Zug Nr. 991 um 5,20 Uhr von Salzwedel nach Arendsee aufgenommen. Planmäßig erreichte er um 6,12 Uhr Arendsee. Danach fuhren je zwei Züge Werktags wie Sonntags nach Arendsee und wieder zurück nach Salzwedel. Der Fahrpreis betrug für die 2. Klasse 18 Mark, die 3. Klasse 11 Mark und für die 4. Klasse 7 Mark.
Leider lassen sich in den Archiven auf Grund der Inflation keine genauen Baukosten ermitteln und die Bausumme für die Strecke Salzwedel-Arendsee von 22.000.000 Mark sagt wenig aus, doch stehen diesen nur 2.300.000 Mark geplante kosten gegenüber. 1 Kilometer Gleis einschließlich Schwellen wurde mit 21.000 Mark veranschlagt, kostete jedoch auf Grund der Inflation dann 890.000 Mark. Auch am Baupreis der Bahnhofsgebäude mit einem Plan-Wert von 21.000 Mark und einen errechneten Ist-Wert von 500.000 Mark kann jeder ersehen welche Mühen die Verantwortlichen aufbringen mussten um den Bau zu realisieren.

"Ein Geschenk des Christkindes"

Der zweite Bauabschnitt der Strecke, von Arendsee nach Wittenberge wurde am 14. Dezember 1922 unter großem Zeitdruck fertiggestellt. Zum Bedauern der Gemeinden traf erst wenige Stunden vor dem geplanten Abfahrtstermin des Sonderzuges die Genehmigung aus Berlin ein. Daher war kein Vertreter der Reichsbahndirektion Hannover im Festzug, sie stellten jedoch wieder einen 40 Achsen Sonderzug zur Verfügung, der festlich Geschmückt um 11 Uhr mit Ehrengästen in Salzwedel abfuhr.
In Arendsee waren wieder Hunderte Einwohner zum Empfang des Zuges auf dem festlich geschmückten Bahnhof erschienen. Bei einem Gabelfrühstück im Kleinbahnhof bezeichnete Arendsees Bürgermeister Dr. Saalfeld die Fertigstellung der Eisenbahnverbindung als "Geschenk des Christkindes das man sich schon seit 50 Jahren wünscht". Um 12,20 Uhr setzte sich der Sonderzug in Richtung Wittenberge in Bewegung.
Der Empfang auf den Stationen Genzien, Harpe, Groß Garz, Groß Holzhausen und Geestgottberg gestaltete sich ähnlich euphorisch wie die Fahrt im Mai zur Eröffnung der Teilstrecke bis Arendsee. Auch in Wittenberge wurden der Sonderzug mit Marschmusik und vielen Reden herzlich empfangen. Um 16 Uhr begann dann die Rückfahrt nach Arendsee.
Der fahrplanmäßige Zugverkehr begann am 15. Dezember mit der Abfahrt des Zuges um 5,20 Uhr in Salzwedel und 5,14 Uhr in Wittenberge, die sich um 6,15 Uhr in Arendsee auf dem Bahnhof kreuzten. Die ersten Bahnhofsverwalter waren in Genzien Herr Krusebecker, in Harpe Herr Brandt, in Groß Garz Herr Gerloff und in Groß Holzhausen Herr Wolters.
Für die Teilnehmer an beiden Eröffnungsfahrten und den zahlreichen jubelnden Einwohnern in den Gemeinden war diese Eröffnung der Bahnverbindung ein weiterer Schritt in die weite Welt, wie damals die Zeitung schrieb. Für die Bahnverwaltung trafen jedoch die mahnenden Worte von Salzwedels Bürgermeister Dr. Salge zu, die Strecke blieb immer ein Zuschussgeschäft.

Bürgermeister musste Recht behalten

Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Rüben, Kartoffeln, Dünger oder Holz für deren Transport die Bahnstrecke auch gebaut wurde, wurden immer mehr aus Kosten-und Zeitgründen auf die Straße verlegt, zumal die Fernverkehrsstraße 190 von alle Orten leicht zu erreichen ist. Daher gab es bereits Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts Bestrebungen die Strecke stillzulegen. Doch die Mobilmachungspläne der Hitlerregierung verhinderten dies. In der DDR Zeit war die Eisenbahnverbindung besonders für die zahlreichen Urlauber nach Arendsee notwendig. Weiterhin diente der Bahnhof Arendsee zur Verladung der Erzeugnisse des Betonwerkes in Kleinau. Die Strecke Salzwedel-Wittenberge war auch Ausweichstrecke für den Güterverkehr.
Aus Rentabilitätsgründen wurde am Sonnabend den 11. Dezember 2004 von der Deutschen Bahn AG gegen heftigen Widerstand unter anderem vom Bündnis "Die Bahn bleibt e.V." die Strecke nach 82 Jahren stillgelegt. Um 21.26 Uhr fuhr der letzte Zug unter den Protesten von Kommunalpolitikern von Salzwedel kommend in Richtung Wittenberge vom Arendseer Bahnhof ab. Zuvor hatte das Bündnis "Die Bahn bleibt e.V." symbolisch mit einem Kranz die Strecke zu Grabe getragen.

Zum Abschluss ein Gedicht welches die damalige Schülerin Grete Nahrstedt auf dem Bahnhof in Riebau zur Eröffnung aufsagte und das aus der Feder von Bauleiter Keifenheim aus Mechau stammt:

Nun endlich ist der Tag erschienen,
an dem wir begrüßen auf eisernen Schienen
Dich stattliches Dampfross, du riesige Macht.
Die nimmer rastend, so riesiges schafft.
Hell mahnt uns die Stimme, früh und spät
Raste nicht, raffe dich auf zur Tat.
Erschlossen hast du unser Altmark Land
Von der Jeetze bis zum Elbestrand.
So möge nun deine Kraft sich weihen,
unseres Landes Wohlfahrt und Gedeihen.
Es sei zum Zeichen unsrer Dankbarkeit
Dir dieser schlichte Kranz geweiht.


Der erste Fahrplan vom 4. Mai 1922


Einer der neu erbauten Reichsbahnbahnhöfe


Der Knotenpunkt Arendsee, nur hier konnten sich die Züge aus Richtung Wittenberge und Salzwedel treffen.


Am 28.09.2003 fuhr das letzte Mal ein "Ferkeltaxi" (LVT der Baureihe 772)




Einer der letzten Züge verlässt Arendsee am 11.12.2004


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